Die Künstlerin präsentiert in der aktuellen Ausstellung drei unterschiedliche Werkgruppen – Arbeiten mit Düngesalzen, Linoldrucke auf Bütten und eine Stickerei. Düngesalze wie „Ammoniumsulfat“ oder „Kupfersulfat“ finden normalerweise in der Land-wirtschaft Verwendung. Während das Künstlerpaar Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger aus Kunstdünger pflanzenartige Gebilde entstehen lassen, züchtet Silke Rokitta Kristalle. Damit verwandelt sie die zu Pulver oder Granulat verarbeiteten Salze zu Objekten, die aufgrund ihrer leuchtenden Farbigkeit und kristallinen Form wie Edelsteine anmuten. Der Prozess der Herstellung funktioniert über Aufkochen der Düngesalze in Wasser und die Ablagerung der gelösten Moleküle zu Kristallen, wobei durch wiederholtes Erwärmen immer größere Exponate gezüchtet werden können. Die molekularen Bindungen der chemischen Bestandteile des Düngers bestimmen die Form und Farbe des Kristalls. Zum Vergleich werden diese zum Teil direkt auf dem Ausgangsmaterial präsentiert. Der Herstellungsprozess erinnert an alchimistische Verfahren, da Zufälliges hineinspielt. Werden die Salze auf Büttenpapier zum Wachsen aufgebracht, entstehen kleinere Kristalle, die eine Art surreale Landschaften bilden. Sie erinnern an Werke von Max Ernst oder geologische Schautafeln. Dieses Erforschen grundlegender Strukturen, einer Matrix, ist auch der Ansatzpunkt der weiteren Arbeiten von Silke Rokitta. Für die Linolschnitte hat sich die Künstlerin mit den Mustern neolithischer Keramik befasst. Im Neolithikum wurden die Menschen erstmals sesshaft und begannen mit dem Ackerbau. Dies bedeutete auch, dass sie zunehmend Gefäße brauchten, um Nahrungsmittel zu lagern und zu verarbeiten. Mit einfachen eingeritzten Mustern wurden diese aus Ton hergestellten Gefäße geschmückt. Die Künstlerin hat nun die Muster in einfachen Rapporten auf einer Linoleumplatte angeordnet und mit Hilfe von Erdpigmenten auf Büttenpapier gedruckt. Die parallelen oder sich kreuzenden Linien weisen Unregelmäßigkeiten auf, die sich aufgrund der Bearbeitung der Linolplatte von Hand ergeben. So werden sie zu individuellen Zeichnungen, ohne dass sie einen konkreten Inhalt wiedergeben. Zwischen frühen Spuren menschlicher Existenz oder zeichenhafter Kodierung einer Botschaft entwickeln die geordneten, aber dennoch ausdrucksvollen Lineaturen eine eigene ästhetische Sprache. Dies gilt ebenfalls für die Stickerei, die in einfachem Kreuzstich ausgeführt ist und wie ein Diagramm mit unbekanntem Inhalt oder ein Schema wirkt. In der belebten und unbelebten Natur entstehen durch molekulare Bindungen Strukturen, die das Erscheinungsbild prägen, was an Kristallen besonders gut sichtbar wird. Auch der menschliche Gestaltungswunsch drückt sich oft in Mustern aus, die aus Wiederholungen bestehen. Diese grundlegenden Strukturen, die man als Matrix bezeichnen kann, geht Silke Rokitta in ihren Arbeiten nach. Dabei macht sie Dinge sichtbar, die den Alltag bestimmen wie Düngesalze oder die Kodierung von Botschaften über einfache Zeichensysteme. Deren bewußte Wahrnehmung läßt auch die Frage nach Nutzen, Schaden oder Gefahren unsichtbarer Strukturen und Substanzen virulent werden. Aber vor allem wird das ästhetische Potential der Strukturen in einzigartiger Weise zum Klingen gebracht. Julienne Franke (Städtische Galerie Lehrte)